2. Das Brand- Corps der Stadt Schlitz

2.1 Die Entstehungsphase

Die strengen Strukturen des Schlitzerländer „Schrebergarten-Absolutismus“ haben keinen Platz für Veränderungen. Zwar kaufen die Stadtväter 1781 eine neue, vierrädrige Spritze, am System der Brandbekämpfung ändert sich jedoch nichts.

1806 wird durch Napoleons Politik die Schlitzer Eigenstaatlichkeit beendet. Die Grafschaft wird dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt zugeschlagen. Die Ideale der französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, werden auch im Schlitzerland bekannt. Die Zünfte lösen sich langsam auf und die Gesellschaft erfährt einen Wandel. Dies und der Brand der Hallenburger Kornspeicher 1816 bewirken, daß sich Bürger wieder Gedanken über den Brandschutz machen.

2.1.1 HICKMANN`s Gedanken

Erste Schreiben, die sich wieder mit dem Brandschutz beschäftigen, datieren aus dem Jahre 1824. In dem ersten Brief vom 16. Juni an den Landrat des Kreises Schlitz oder den Bürgermeister der Stadt - ein Adressat ist nicht angegeben - skizziert der Schlitzer HICKMANN seine Ideen einer effektiven Brandbekämpfung. In diesen „Bemerkungen, welche Theils unumgänglich nöthig sind, wann bei Brandt die Stadtspritze gehörig wirken soll“, entwirft er eine Feuerordnung für das „Feuer- oder Brand-Corps der Stadt Schlitz“. HICKMANN, der wohl erste Schlitzer Feuerwehrhauptmann, schlägt vor, bei der Beratung zwischen dem Landrat und dem Bürgermeister an der Brandstelle den Zimmer- und den Maurermeister hinzuzuziehen, da die „ ... das innere des Gebäudes schon genauer kennen.“

Mit der Besetzung an der Spritze gibt es aber Probleme: „Ferner müssen wir bemerken, daß der erste Spritzenmeister Thöt zwar angewiesen ist, das Rohr an der Spritze zu leiten, aber wir finden nicht, wer unter dessen den Schlauch dirigieret. Der zweite Spritzenmeister Gliß soll wohl den ersten, wann solcher ermüdet, bei dem Rohr ablösen. Wir bringen den Wagner Sippel wieder in Vorschlag, weil er sicher den Schlauch geführet hat.“

Auch reicht das Personal noch nicht aus. HICKMANN bemängelt, daß für die große Spritze 16 Mann erforderlich sind, mit Ablösung somit 32, die bisherige Mannschaft aber erst aus 23 Mann bestehe, womit noch neun Mann „auszumitteln“ wären.

Schließlich will der Feuerwehrhauptmann noch wissen, wie sie verfahren sollen, wenn auf dem Lande ein Brand entsteht, und er wünscht, bei ferneren Beratungen mit seinem Leutnant UNGER hinzugezogen zu werden.

HICKMANN gewährt aber in seinen „Bemerkungen“ auch ein Einblick in die Gliederung der ersten Schlitzer Wehr. Er nennt die verschiedenen Abteilungen, deren Mitgliederbestand und die Sammelplätze.

A) zur großen Spritze:
1 Hauptmann, 1 Leutnant, 2 Spritzenmeister, 32 Mann
Sammelplatz: Spritzenhaus

B) zur kleinen Spritze:
1 Leutnant, 2 Spritzenmeister, 23 Mann
Sammelplatz: Hallenburg

C) Rettungs-Companie:
I. Section: 1 Leutnant, 15 Mann
Sammelplatz: Lehmkaute beim Brunnen
II. Section: 1 Leutnant, 15 Mann
Sammelplatz: Grabenberg beim Brunnen

D) zur Wasserleitung (Wasserversorgung):
1 Leutnant, 1 Feldwebel, 24 Mann
Sammelplatz: bei Herrn FRANCK

E) bei den Feuerleitern:
1 Leutnant, 1 Feldwebel, 24 Mann
Sammelplatz: beim Obertorbrunnen

F) die (Rettungs-) Wache:
I. Section: 1 Hauptmann, 2 Leutnants, 2 Trommler, 20 Mann
Sammelplatz: Vorderburg
II. Section: 2 Leutnants, 2 Trommler, 30 Mann
Sammelplatz: Hinterburg

G) die Feuerläufer:
Die Feuerläufer haben die Aufgabe, die Kunde vom Brand in die benachbarten Orte zu tragen, um Löschhilfe anzufordern. Hier ist aus den Unterlagen jedoch nicht ersichtlich, wieviele Personen eingesetzt sind. Vermutlich wechselt hier die Zahl von Mal zu Mal und es ist anzunehmen, daß die Feuerläufer kein regulärer Bestandteil der eigentlichen Wehr sind.

Vierrädrige Handdruckspritze (Pferdezug) aus dem Jahr 1751
mit quer angeordneter Druckstange
von J.G. BACH und Sohn (Deutsches Feuerwehrmuseum, Fulda)

2.1.2 Gliederung der Brandabschnitte

HICKMANN’s „Bemerkungen“ ist auch eine „Rotteneinteilung für die Stadt Schlitz“ beigefügt. Möglich ist, daß es sich hierbei um einen Einsatzplan für die (Feuer-) Wache handelt. Die Wache hat die Aufgabe, in Rotten unterteilt, durch die Stadt zu patrouillieren. Sie soll verhindern, daß die leerstehenden Häuser geplündert werden, da ja fast alle Erwachsenen in die Brandbekämpfung eingebunden sind.

Die 579 Häuser der Stadt sind in 12 Bezirke unterteilt, die von je einer Rotte bestreift werden. So hat zum Beispiel die Rotte des H. BAUMGÄRTNER die Häuser Nr. 1 - 54 zu bewachen; das sind alle Gebäude innerhalb der Ringmauer.

Aufgabe der Rettungs-Compagnie ist es, aus dem brennenden Gebäude und auch aus den benachbarten, vom Brand bedrohten, Häusern Hab und Gut zu retten und anschließend zu bewachen. Rettungs-Compagnien spielen im Feuerlöschwesen eine große Rolle, weil die damit verbundene Aufgabe Ehr-lichkeit und besonderen Einsatzwillen verlangt.

Damit besitzen die Retter im städtischen Löschwesen eine herausgehobene Stellung, die Rang, Ansehen und einen guten Leumund verrät. Es ist zu vermuten, daß dies für viele Bürger Gründe sind, freiwillig solchen Gruppen beizutreten.

2.1.3. Erläuterungen zu „HICKMANN’s Bemerkungen“

HICKMANN’s Bemerkungen lassen auch einige Rückschlüsse auf eine vorhergehende Schlitzer Wehr zu. Die Aussage „ ... bringen (wir) den Wagner Sippel wieder in Vorschlag, weil er sicher den Schlauch geführet hat“, bestätigt, daß bereits vor Juni 1824 in Schlitz eine Wehr existiert haben muß.

HICKMANN schreibt auch von einem Artikel 4, nach dem der Bürgermeister und der Landrat über die Vorgehensweise bei der Brandbekämpfung an der Brandstätte beraten und den Einsatz leiten sollen. Es muß also vorher schon Statuten für eine Wehr gegeben haben und HICKMANN hat mit diesen viel-leicht auch schon schlechte Erfahrungen gesammelt, weil er vorschlägt, dem Bürgermeister und dem Landrat noch einen Zimmermeister und einen Maurermeister - zwei Praktiker also - an die Seite zu stellen.

Ein weiterer, bemerkenswerter Punkt ist die Tatsache, daß die große Spritze bisher nur mit 23 Mann in den Mannschaftsdienstgraden besetzt ist. Es fehlen noch neun Mann. Wäre es eine reine Pflichtfeuerwehr, dürfte es kein Problem darstellen, die 9 Mann zu bestimmen. 1825 werden dann die „für das Feuer-Corps notwendigen Instructionen“ zur Genehmigung nach Gießen eingereicht. Die Provinzregierung lehnt diese Instruktionen jedoch ab, „ ... weil darin den zu diesem Corps bestimmten Leuten zum Theil andere als in der Feuerordnung bestimmte Obliegenheiten auferlegt werden sollen ... “. Die Regierung schließt jedoch in ihrem Schreiben: „ ... sollten sich dieselben (Feuerwehrleute) aber in Güte dazu verstehen (die Aufgaben freiwillig zu übernehmen), so finden wir nichts dabei zu erinnern, wenn sie den projectierten Plan in Ausführung bringen.

“Die Instruktionen werden aber nicht überarbeitet und gleich wieder zur Genehmigung vorgelegt. Offensichtlich übernehmen die Feuerwehrleute des Jahres 1825 die, über die in der Feuerordnung hinausgehenden, Aufgaben freiwillig. Erst 10 Jahre später, am 8. November 1835, reicht man die „Instructionen für das Brand- oder Feuer-Corps“ erneut ein.

2.2 Das "Brand- oder Feuer- Corps" von 1835

Diese Instruktionen sind, entsprechend der Wehr, in 5 Abschnitte gegliedert. Leider fehlt hier der zweite Abschnitt, der sich mit der Rettungs-Compagnie befaßt.

Aus den anderen Abschnitten sollen die wichtigsten Paragraphen wiedergegeben werden. Sicherlich entbehren einige heute nicht einer gewissen Heiterkeit. Sie geben jedoch einen guten Einblick in die Arbeit und in die Probleme der Männer, die sich in Schlitz für den Brandschutz einsetzen. Da einige Begriffe heute unbekannt sind, werden Erläuterungen oder Ergänzungen in Klammern angefügt.

Den einzelnen Abschnitten fügen wir die Namen der Männer an, die in den jeweiligen Abteilungen ihren Dienst verrichten.

Die prunkvoll verzierte „Herrieder Bischofsspritze“ aus dem Jahr 1759.
Im Vordergrund: Löscheimer aus Stroh bzw. Leder (zu besichtigen im Museum Feuchtwangen/Allgäu).

2.2.1 Instruktion für die Spritze (-nmannschaft)

§ 1: Bei Entstehung eines Brandes ist des Spritzenhauptmanns erste Pflicht für den Transport der Spritzen auf die Brandstelle zu sorgen. Er empfängt in dieser Absicht einen Schlüssel zum Spritzenhaus.

§ 3: Sodann bestimmt er den Leutnant über die Wasserleitung (Wasserversorgung), wo die Wasserkasten hingestellt werden, daß sie die Spritze nicht hindern und doch nahe genug sind, um die Spritze bequem füllen zu können.

§ 4: Hierauf übergibt er dem Leutnant die Leitung der Spritzen und begibt sich zu dem Landrath, oder Bürgermeister, um mit demselben die zweckmäßigste Leitung der fernen Operationen zu verabreden.

§ 9: Das Hauptgeschäft der Spritzenmeister ist, die Spritze ununterbrochen in Gang zu halten und den Wasserstrahl zweckmäßig zu leiten.

§ 15: Damit nöthige Reparaturen möglichst schleunigst vorgenommen werden können, so haben von den unter den Spritzenleuten befindlichen Handwerkern ein jeder bei sich zu führen, der Schmied: Hammer, Beißzange und einige Nägel; der Sattler und Schuhmacher: Seil und Pechdraht; der Wagner: ein Handbeil; der Küfer: ein Schnitzmesser.

Die Männer an den Spritzen sind: Hauptmann HICKMANN, Leutnant FEND, Christian und Philipp TRIER, Heinrich WEIßBECK, Georg, Nikolaus und Johannes HEIL, Friedrich HILLEN, Adam WAGNER, Seiler NEPHUT, Johann ZÖLL, Johann KRUPPERT, Konrad NOLL, Christian BOHL, Heinrich JUNG, Jacob HABERMEHL, Alexander GNIß, Georg GLIß, Ludwig und Philipp PAUL, Andreas HERMANN, Kilian KALBFLEISCH und Eckehard KÖHLER.

2.2.2 Instruktionen für die Wasserleitung (Wasserversorgung)

§ 1: Hinlängliches Wasser auf die Brandstelle zu schaffen ist der Zweck der Abteilung für die Wasserleitung.

§ 2: Hiernach weist der Leutnant den Feldwebel an, die herbeizubringenden Kasten zu ordnen und wenn deren nicht

§ 3: Während der Feldwebel dieses besorgt, ordnet der Leutnant seine Mannschaft von der Brandstätte bis zum nächsten Brunnen, oder anderem Wasser und zwar in zwei Reihen.

§ 4: Die Mannschaft in diesen Reihen hat die Pflicht erstens die Straße innerhalb der beiden Reihen leer zu halten, und nur den Weibern und Mädchen welche in Bütten das Wasser zutragen, den Durchgang zu gestatten. Zweitens keine müßigen Zuschauer zu leiden, sondern sie in der Reihe anzustellen und dafür zu sorgen, daß die Eimer regelmäßig von Hand zu Hand und hinuntergehen. Hierin werden sie von der Wache unterstützt.

Die mit Schnitzereien und bemalten Feldern am Wasserkasten versehene zweizylindrige Fuhrspritze der Stadt Schlitz aus dem Jahr 1781. Die 1902 in das Darmstädter Landesmuseum überführte Spritze kehrte - nach wiederholtem Standortwechsel - 1997 wieder an ihren Einsatzort zurück.

Das schmiedeeiserne Pumpwerk mit Wendestrahlrohr und den in rankenverzierten Lagerböcken - in Fahrtrichtung - ruhenden Druckhebeln. In einer Umrahmung auf der Rückseite des Wasserkastens befindet sich folgende Inschrift:
„Durch Fleiß und Arbeit stehe ich hier, Joh. Philipp und dessen Sohn Peter Bach von Hungen verfertigten mich vor die Stadt Schlitz, Anno 1781.“

2.2.3 Instruktionen für die Feuerarbeiter (Steiger)

§ 1: Die erste Sorge des Leutnants bei einem ausgebrochenen Brandt besteht darin, seine Mannschaft auf dem Sammelplatz in verschiedene Abteilungen zu verteilen und nach den Orten zu senden, wo die Feuerleitern, Haken und dergl. aufbewahrt sind, um solche herbeizuholen.

§ 4: Das hauptsächlichste Augenmerk des Leutnants muß dahingehen, der Leitung der Spritzen den Weg zu bahnen. Er muß daher darauf Bedacht nehmen, die Leitern so zu stellen, daß sie den Spritzen die möglichste Annäherung erlauben.

§ 6: Die Mannschaft muß zum Teil, nemlich 4 Zimmerleute mit Äxten und zwei Männer, jeder mit einem Brecheisen, versehen sein, um nötigenfalls Öffnungen machen oder etwas niederreißen zu können.

2.2.4 Die Instruktionen für die Brandwache

§ 2: Der Hauptmann kommandiert einen Leutnant in das brennende Gebäude und einen zweiten auf den Platz, wohin die zu rettenden Effekten zu bringen sind. Beide erhalten die nötige Mannschaft.

§ 3: Die anderen Leutnants werden sodann mit gehöriger Mannschaft kommandiert: Der eine um in den Reihen des Wassertransports Ordnung zu halten, und die andrängende Menge müßiger Zuschauer zurückzuhalten. Der andere zur Eskorte der Effekten und zum Schutz der Rettungsmannschaft und der dritte zum patrouillieren.

Die Namen der Brandwache sind auch überliefert: Sattler LANG, Messerschmied ORTWEIN, Bürstenmacher ZINN, Friedrich und Johannes METZENDORF, Dittrich GÖBEL, Friedrich NOLL, Johannes KÖHLER, Gustaph HEIL, Reinhardt GUNTRUM, Ludwig GNIß, Georg ZÖLL, Wilhelm NIEPOTH und Peter PFIFFERLING.

2.2.5 Der Eid der Wehr

Obwohl die Instruktionen der Rettungs-Compagnie nicht überliefert sind, so sind doch einige Namen der Mitglieder bekannt: Andreas NIEPOTH, Heinrich JUNGBLUT, Schuhmacher HEIL, Ludwig BAUMGÄRTNER, Philipp HEIL, Wilhelm METZEN¬DORF, Gemeinderat SCHMITT und die Gastwirte TRIER, HAHN, WEBER und KRÖMMELBEIN.

Den Mitgliedern der Wehr werden die Instruktionen eröffnet und alle legen anschließend vor dem Gemeinderat einen Eid ab: „Wir geloben und schwören zu Gott dem Allmächtigen einen leiblichen Eid, daß wir dem uns vertrauensvoll übertragenen Geschäft, das Vermögen unserer Mitbürger zu retten, welches durch Brandt in Gefahr kommen sollte, nach allen unseren Kräften treu und redlich besorgen wollen, so wahr uns Gott helfe und sein heilges Wort, durch Jesum Christum, Amen."

Soviel zur Gründung der Schlitzer Feuerwehr im Jahre 1835. Inwieweit sie zu dieser Zeit schon freiwillig ist, wird wohl nie jemand genau in Erfahrung bringen. Es ist auch nicht das Wichtigste. Vielmehr zeigen auch die Namenslisten, daß „Honoratioren“ neben Arbeitern das Feuer bekämpfen. Zwischen dem 18. und 55. Lebensjahr ist jeder aus der Bevölkerung eingebunden, denn jeder kann der Nächste sein, dessen Existenz durch einen Brand vernichtet wird. Zu sehr haften noch die Erinnerungen in den Köpfen der Schlitzer, als beim Grafen GÖRTZ 1755 das Schloß Hallenburg und 1816 die großen Kornspeicher im Gut Hallenburg durch Feuer vernichtet wurden.