4. Das Brandschutzwesen in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts

Von einer kontinuierlichen Weiterentwicklung im Feuerlösch­wesen der Stadt kann auch in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts noch keine Rede sein. Fortschritte in der allgemeinen Feuerlöschtechnik, wie z.B. durch fahrbare Dampfspritzen oder in der Leitertechnik, bleiben den größeren und vermögenderen Städten vorbehalten. Die Finanzkraft einer Kleinstadt wie Schlitz ermöglichte allenfalls die Anschaffung von verbesserten Modellen der herkömmlichen Saug- und Druckspritzen.

1828, erste fahrbare Dampfspritze: Ing. Capt. John ERICSSON, Teilhaber der Maschinenfabrik von J. BRAITHWAITE, London, setzt zu Versuchszwecken eine von BRAITHWAITE gebaute Dampfpumpe und einen Lokomotivkessel auf ein gewöhnliches Lastwagenfahrgestell. Es folgen verbesserte Modelle auf gefederten Fahrgestellen
(Abb.: W. HORNUNG, „Feuerwehrgeschichte“, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 1990).

4.1 „Statuten, Dienst- und Löschordnung“ der Schlitzer Feuerwehr

Mit dieser in drei Abschnitte gegliederten Verordnung vom 21. März 1857 wird die (Wieder-?) Einrichtung einer Freiwilligen Feuerwehr beschlossen; oder wie es im § 1 der Statuten wörtlich heißt:

„Für die Stadt Schlitz wird eine dem heutigen Stand des Feuerlöschwesens entsprechende Feuerwehr gebildet, deren Mannschaft, soweit nicht hinreichend freiwillige Anmeldungen erfolgen, von der Local = Polizeibehörde aus den bei Löschung eines Brandes zur Mitwirkung verpflichteter Einwohner der Stadt ausgewählt wird.“

Die an anderer Stelle verwendete Formulierung „ ... die seitherigen Spritzenmeister“ und „die seitherigen Schlauchführer“ unterstreicht einmal mehr die Feststellung, daß das organisierte Löschwesen der Stadt älter ist.

Die weiteren Anordnungen betreffen u.a. die Einteilung der Wehr in eine Steiger-, Spritzen-, Wach- und Ordnungsmannschaft sowie die Wahl des aus ihrer Mitte zu wählenden Kommandanten, dessen Stellvertreter und zwei Adjutanten, einen Obmann und dessen Stellvertreter für jede der genannten drei Abteilungen sowie die nötigen Obersteiger und Rottmeister. Außerdem sind dem Kommandanten zwei Signalisten beizugeben. Die Feuerwehrkasse soll aus freiwilligen Beiträgen und Zuschüssen aus der Stadtkasse gespeist werden.

Eine Dienstkleidung, bestehend aus einer „Zwilich-Jacke“ und einem Blech­helm, sollen vorerst nur die Steiger erhalten, die diese selbst anzuschaffen haben! Die übrige Mannschaft trägt „Zivil“ und zur Kennzeichnung ihrer Tätigkeit eine Armbinde mit entsprechender Beschriftung. Zur persönlichen Ausrüstung der Steiger gehört „ein Gurt mit Sicherheitshaken und vorderhand nur bei jedem dritten Mann ein Rettungsseil und einige tragen Beile“.

An Löschgerätschaften sind vorhanden:
  2 vierrädrige Feuerspritzen (Stadt- und Bezirksspritze)
86 Feuereimer aus Leder
10 Feuerleitern und
  7 Feuerhaken

Im Jahr 1860 kommt eine zweirädrige Kannenspritze hinzu, die die „Aachener und Münchener“ Feuerversicherung der Stadt Schlitz zum Geschenk macht. Eine weitere Verstärkung bedeutet die gräfliche Fuhrspritze des Gutes Hallenburg. Wegen Platzmangel im bzw. am Spritzenhaus sind die Feuerleitern u.a. noch unter einer Überdachung am gräflichen Mast­stall in der Hintergasse untergebracht.

4.2 Nichts ist so konstant wie der stete Wechsel

1864 wird die unter Kommandant WASLÉ bestehende Rettungsschar und Feuerwache aufgelöst. An ihre Stelle tritt der neugebildete Schützenverein. Die Feuerwache ist nach wie vor mit Gewehren ausgerüstet. Zur gleichen Zeit treten Kommandant WASLÉ und dessen Stellvertreter Georg Wilhelm UNGER, Gemeinderatsmitglied, zurück. Neuer Kommandant wird der Gastwirt Georg KRÖMMELBEIN, der ebenfalls dem Gemeinderat angehört.

In der Folgezeit (bis 1874) müssen bei dieser Freiwilligen Feuerwehr die entstehenden personellen Lücken immer wieder durch zum Feuerwehrdienst beorderte Bürger geschlossen werden. Eine Ergänzung der Uniformierung erfolgt ab 1871. Neben den Steigern erhalten nun auch die Spritzenmannschaften eine blau/weiß gestreifte Bluse und einen Blechhelm.

1873: Bis zu diesem Zeitpunkt sind zur Anforderung nachbarlicher Löschhilfe noch Feuerläufer eingesetzt. Diese alljährlich neu eingeteilten Männer werden stets aus den jüngsten, neu als Ortsbürger aufgenommenen, Einwohnern der Stadt ausgewählt.

Zur Verstärkung des „Feuerlärms“ sind neben dem Läuten der Sturmglocke die beiden Signalisten Wilhelm REINHARDT (Schneider) und Christian REINHARDT (Wirt) sowie die „Brandtrommler“ Friedrich STRENG (Häfner) und Adam KERNBACH (Weber) zuständig!

1888, Gottlieb DAIMLER und Heinrich KUNTZ aus Stuttgart stellen auf dem 13. Deutschen Feuerwehrtag zu Hannover die erste Benzinmotorenspritze vor. Sie ist für Hand- und Pferdezug eingerichtet und hat als Antrieb der Kolbenpumpe einen DAIMLER-Motor (Abb.: W. HORNUNG, „Feuerwehrgeschichte“, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 1990).

4.3 Die Turnvereine sind die Garanten der Freiwilligen Feuerwehren

Von 1874 bis 1877 besteht wieder eine rein Freiwillige Feuerwehr. Und wieder sind es die Mitglieder des Turnvereins, die den Kern, die Elite der Wehr, bilden. Unter der Führung des Kommandanten Ludwig MÜLLER, der seit 1871 die Wehr befehligt, stellt die Turnerschaft zwei Rotten Steiger und übernimmt die Bedienung einer Spritze. Die Gesamtstärke dieser Feuerwehr beträgt 135 Mann und setzt sich zusammen aus:

1. der Steigermannschaft mit 26 Mann
2. der Stadtspritze mit 36 Mann
3. der Bezirksspritze mit 24 Mann
4. der 3. Spritze mit 9 Mann
5. der Wachmannschaft (4 Rotten) mit 40 Mann

Wie wir feststellen, haben auch in der Stadt Schlitz die Turner wiederholt den freiwilligen Feuerwehrdienst übernommen. Die von Turnvater JAHN propagierten vier Turnertugenden „frisch, fromm, fröhlich, frei“ waren mit Elan in die vielerorts entstandenen Turnerfeuerwehren hineingetragen und um vier neue Begriffe erweitert worden: Einsatzfreude, Pflichtbewußtsein, Nächstenliebe und Disziplin.

1865 bestanden in Deutschland 334 Turnerfeuerwehren mit ca. 29.000 Mitgliedern. 

4.4 Es kam wie es kommen musste

Ab 1874 wird zunehmend deutlicher, daß in der Bereitschaft der männlichen Stadtbewohner, sich freiwillig dem Brandschutz zur Verfügung zu stellen, „gewisse Ermüdungserscheinungen“ zu verzeichnen sind. Um dem entgegen zu wirken (?), ist in den neuen FW-Instruktionen vom 21. März 1874 erstmals von finanziellen Zuwendungen die Rede: So sollen die Steiger für die Aufräumungsarbeiten an der Brandstätte, die Spritzenmannschaften für die Zeit der Funktionsproben mit den Spritzen und ihre Einbringung in die „Remise“ (Spritzenhaus) eine Art Aufwandsentschädigung erhalten.

Außerdem soll jedes Mitglied der Wehr, „wenn der Gemeinderat zustimmt, eine Dienstauszeichnung aus der Gemeindekasse erhalten“. Doch daraus wird nichts. Kommandant MÜLLER dankt 1875 ab. An seine Stelle tritt das Gemeinderatsmitglied Otto ZINSSER.

Doch um die Idealisierung „Gott zur Ehr - dem Nächsten zur Wehr“ ist es um diese Zeit schlecht bestellt. Fernbleiben vom Dienst, Aufsässigkeiten und wohl auch Führungsmängel sind die äußeren Merkmale.

Die noch am stärksten zusammenhaltende (Turner-) Steigermannschaft stellt beim Kreisamt Antrag auf straffere Führung durch amtlich ernannte Kommandanten. Die gängige Praxis für dieses Amt Gemeinderatsmitglieder einzusetzen hat wohl mit frei gewählter Führerschaft nichts gemein. Ende 1877 wirft dann auch Kommandant ZINSSER das Handtuch. Wie es von 1878 bis 1880 um die Wehr bestellt ist, bleibt unklar.

4.5 Das Ende der Freiwilligen Feuerwehr

Am 7. Februar 1880 kommt es in der Hainbuche bei strengem Frost zu einem Großbrand, dem die Anwesen des Konrad SIEBERT, Heinrich ETTLING, Johann FEHR und Johann KRAFT zum Opfer fallen. Vier Wohnhäuser und zwei Scheunen werden restlos eingeäschert, drei weitere Scheunen stark beschädigt. Die folgende wohl allgemeine Erkenntnis, daß im städtischen Feuerlöschwesen Handlungsbedarf besteht, führt umgehend zu einer Neugliederung der Wehr. Noch im Mai d.J. wird unter der Führung von Heinrich NIEPOTH ein 116 Mann starkes Feuerwehrcorps aufgestellt. Um den ständigen personellen Querelen zwischen Freiwilligkeit und Verpflichtung aus dem Weg zu gehen, wird die Wehr in eine Pflichtfeuerwehr umgewandelt. Diese Wehr setzt sich zusammen aus:

1. der Steigermannschaft mit 20 Mann
2. der Rettungsmannschaft mit 20 Mann
3. der 1. Spritze mit Standrohr mit 32 Mann
4. der 2. Spritze mit Standrohr mit 24 Mann
5. der 3. Spritze mit Standrohr mit 10 Mann
6. der Wassermannschaft mit ebenfalls 10 Mann

Auf die neuen Instruktionen, die eine militärisch straffe Handschrift erkennen lassen und nach denen die bestehenden Abteilungen nun unter der Führung eines „Hauptmannes“ eine „Feuerwehr-Compagnie“ bilden, soll hier nicht näher eingegangen werden, zumal solche Statuten nicht immer voll umgesetzt werden.

Auf weiterhin bestehende Mängel in der Organisation weist ein im Schlitzer Bote im Jahr 1882 veröffentlichter Leserbrief hin. Darin heißt es: „Unserer braven Feuerwehr gönnen wir die verdiente Erholung nach den Strapazen des Dienstes - Übungen, Märsche etc. - von Herzen, wollen aber auch bei dieser Gelegenheit im allgemeinen Interesse den Wunsch aussprechen, daß dieselbe auch bald wieder einmal ein Lebenszeichen von sich geben möge“. Unterzeichnet ist dieser sorgenvoll/ironische Kommentar mit „Mehrere Freunde der Feuerwehr“.

Ganz so dramatisch kann es dann doch nicht gewesen sein, denn Kommandant NIEPOTH führte die Wehr volle 10 Jahre - bis 1890.

Blick auf die Vorderburg: Im Vordergrund das Leiterhaus der Feuerwehr. Hier wurden Feuerleitern und Einreißhaken aufbewahrt (Ausschnitt aus einer Zeichnung um 1900 von Rudolf KOCH, Frankfurt).

4.6 Neue Impulse durch „Landes-Feuerlöschordnung“

Im Januar 1898 kann der Brandschutz mit einer dem neuesten Stand der Löschtechnik entsprechenden Saug- und Druckspritze weiter verbessert werden. Die Spritze - ein Metz-Fabrikat - kostet 1.350 RM. An der Finanzierung beteiligen sich das Großherzogtum Hessen, die Schlitzer Bezirkssparkasse sowie mehrere „Feuerversicherungs-Gesellschaften“, so daß die Stadt mit nur 150 RM belastet wird.

1890 übernimmt dann Sparkassenrechner Wilhelm FRANK die Wehrführung. Um die gleiche Zeit bestehen im gesamten Großherzogtum Hessen nur 125 freiwillige und, in Alzey und Schlitz, zwei organisierte Pflichtfeuerwehren.

Neue Impulse erhält der Brandschutz durch die neue Hessische „Landes-Feuerlöschordnung“, die am 1. April 1891 in Kraft tritt. Die Kreise werden aufgefordert, verstärkt auf die Bildung von organisierten, vorrangig freiwilligen Feuerwehren hinzuarbeiten. Fünf Jahre später (1896) werden in Hessen dann 258 freiwillige- und 694 Pflichtfeuerwehren registriert.

Desweiteren sind nach § 20 der Ausführungsverordnung „Kreisfeuerwehr-Inspektoren“ zu berufen. Im Landkreis Lauterbach wird diese Position doppelt besetzt und zwar durch den Baumeister JOCKEL, Lauterbach und für den Kreisabschnitt Schlitzerland durch den seit 1880 amtierenden Schlitzer Bürgermeister Otto ZINSSER.

4.7 Bürgermeister ZINSSER lehnt Freiwillige Feuerwehr ab

ZINSSER begründet seine Haltung Ende 1892 u.a. damit: „Die Erfahrung die man seinerzeit (i.d. 70er Jahren) mit den Freiwilligen Feuerwehren gemacht hat, war so schlecht, daß man es als einen entscheidenden Fehlgriff bezeichnen müßte, wenn man eine derartige Einrichtung hier ins Leben rufen wollte“

Aufgrund dessen kommt es im Jahr 1893 zur Gründung von Pflichtfeuerwehren in den Gemeinden Pfordt, Queck, Rimbach, Sandlofs, Üllershausen, Ützhausen, Unterschwarz, Unterwegfurth und Willofs.

Die technische Ausstattung der 100 Mitglieder umfassenden Schlitzer Wehr besteht 1896 aus:

    1 Spritze mit Saugwerk,
    3 Spritzen ohne Saugwerk,
350 m ungummierten Hanfschläuchen,
120 lederne Feuereimer,
    6 Anstelleitern, davon 4 mit Stützen,
    8 Feuerhaken und 3 Standfackeln sowie
    6 Hakenleitern und 4 Rettungssäcken.

Mit dem Bau der neuen Wasserleitung im Jahr 1896 wird mit der Installation von Hydranten eine Verbesserung in der Löschwasserversorgung erzielt. Die Anzahl von 21 Unterflurhydranten reicht jedoch nicht aus, um eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten. Es vergehen Jahre bis die immer wieder vorgetragene Forderung der Wehr nach zusätzlichen Hydranten erfüllt werden kann. Ein weiteres Manko ist der zu niedrige Wasserdruck in den höher gelegenen Stadtteilen.

Anläßlich eines am 21. Januar 1893 bei minus 18ºC ausgebrochenen Scheunenbrandes (zwischen Haus W. GIER­HARDT u. d. Ziegelei LACHMANN) in der Hainbuche wird davon berichtet, daß die gräfliche Brauerei stets einen Vorrat an „warmem Löschwasser“ bereit hält; eine Maßnahme, die sich auch früher schon als sehr vorteilhaft erwiesen habe.

1895 schreibt ein Berichterstatter im „Schlitzer Bote“, daß Brände in unserer Stadt Seltenheitswert besitzen, da es innerhalb der letzten 25 Jahre nur zu fünf Schadensfeuern gekommen sei. Etwas nachdenklich stimme jedoch der Zufall, daß sich vier Brände im gleichen Ortsteil (i.d. Hainbuche, Anmerkung des Verfassers) ereignet hätten!