7. Nachkriegszeit und Wiederaufbau

7.1 Der erste Brand und seine Ursache

Nach der deutschen Kapitulation am 7./8. Mai 1945: Viele Wehrmänner sind gefallen, andere befinden sich noch in Gefangenschaft. An einen Wiederaufbau der Feuerwehr ist noch nicht zu denken, da muß bereits Ende Mai der erste Nachkriegsbrand bekämpft werden. Brandverursacher waren „experimentierfreudige“ Jugendliche, die darauf gekommen waren, daß der Inhalt von Artilleriekartuschen - der gebündelten Spaghettis gleicht - einzeln angezündet, beim Brennen eine raketenartige Schubkraft entwickelt und sich fauchend in die Lüfte erhebt.

 

Einer dieser „Feuerwerkskörper“ findet den Weg auf den Heuboden der Scheune des Landwirts Richard OTTERBEIN im Grund (heute Parkplatz ROHRGASS) und setzt dort gelagertes Heu und Stroh in Brand. Zum Glück wird dies sofort bemerkt und der in der Nähe wohnende Wehrführer verständigt, der umgehend die Feuersirene „Auf der Wacht“ auslöst. Inzwischen sind genügend ältere Wehrmänner in Zivil am Gerätehaus erschienen, um die Spritzen zur Brandstelle zu schieben.

 

Die Motorspritze ist jedoch nicht einsatzfähig, weil - wie später bekannt wird - flüchtende Parteigrößen die Benzinreserve zweckentfremdet haben. Es gelingt aber mittels der alten Saug- und Druckspritze den Brand unter Kontrolle zu bringen, ohne daß ein Totalschaden eintritt. Allerdings wird der Dachstuhl des SIPPELschen Wohnhauses stark beschädigt; trotzdem - in Anbetracht der bescheidenen Technik - eine anerkennenswerte Leistung der zusammengewürfelten Löschtruppe.

 

Noch erwähnenswert ist, daß durch den Sirenenalarm Soldaten der amerikanischen Besatzung in der Zinßerstraße ebenfalls aufgeschreckt werden, an der Brandstelle erscheinen und dort mithelfen, Hausrat aus den unmittelbar gefährdeten Wohnhäusern OTTERBEIN, SIPPEL und KRUPPERT vorsorglich in Sicherheit zu bringen. Daß dabei ein aus dem Fenster geworfener Sack mit Mehl Totalschaden erleidet, sei nur am Rande erwähnt.

7.2 BECKER darf die Wehr nicht wieder übernehmen

Der Wiederaufbau der Wehr geht nur zögernd voran. Nach Verhandlungen mit der Militärregierung wird im Oktober 1945 die Wiedereinrichtung der
Feuerwehr genehmigt. Achselstücke, Hoheitsabzeichen und Embleme müssen jedoch von den Uniformröcken, Mützen und Helmen entfernt werden. Wehrführer BECKER, der wie die meisten Führer von Hilfsorganisationen Mitglied der NSDAP gewesen ist, darf die Wehr nicht wieder übernehmen.

 

Die Führung der Wehr wird nach Beschluß des unter Bürgermeister PAUL amtierenden Gemeinderats Spenglermeister Hein­rich ADOLPH übertragen.

 

1946 finden wieder Übungen statt. Aber - so berichtet das Protokoll: „Der Besuch und die Teilnahme ließen sehr zu wünschen übrig.“ Der Standpunkt „ohne mich“ ist jedoch nach den schrecklichen Kriegsjahren mit seinen Folgen leicht verständlich.

 

Am 25. November 1946 kommt es zu dem ersten größeren Brand in der Nachkriegszeit. Das Wohnhaus PFLANZ am Grabenberg brennt ab; der Dachstuhl des angrenzenden Wohn­hauses WEPPLER wird stark beschädigt.

Alarmübung 1948: Noch kann auf die Handdruckspritze aus dem Jahr 1896 nicht verzichtet werden (Aufname im Besitz von Friedrich GOLDSTEIN, Schlitz).

7.3 Die Normalität kehrt zurück

Erst im Jahr 1948 - nun unter Bürgermeister Wilhelm REINHARDT - gibt es Fortschritte beim Wiederaufbau.

Am 12. Februar 1948 findet die erste Vorstandssitzung statt. Ein Übungsplan wird aufgestellt, nach dem 10 Übungen einschließlich einer Alarmübung abgehalten werden sollen.  Brandmeister KARN übernimmt wieder das Rechner- und Schriftführeramt.

 

Durch den Umbau des gräflichen Benderhauses ist die Wehr ohne „Schlauch-Trocknungsanlage“. Bürgermeister REIN­HARDT verspricht Abhilfe mittels eines Dachaufbaues am Gerätehaus „Auf der Wacht“.

 

Im April wird die erste Jahreshauptversammlung nach 1939 abgehalten. Es ist u.a. die Stelle des stellvertretenden Wehrführers zu besetzen. Gewählt wird Brandmeister Wilhelm REINHARDT II.

 

Die Beschaffung von 50 m (!) C-Schlauch wird beschlossen. Weiter wird bekannt, daß die Feuerwehrschule in Kassel wieder Lehrgänge abhält. Erster Schlitzer Teilnehmer ist Friedrich METZENDORF. Vom 15. bis 22. Oktober findet - in Verbindung mit einer „Hilfsaktion für Berlin“ - die erste bundesweite Feuerschutzwoche statt. In Schlitz wird aus diesem Anlaß am 15. Oktober eine große Schauübung abgehalten, wobei auch die mit einer Motorspritze ausgerüsteten Wehren von Rimbach und Sandlofs teilnehmen. Anwesend sind an diesem Tag: der hessische Innenminister ZINNKANN, Landrat SCHÜCKING, Bürgermeister GEISLER, Lauterbach sowie die Wochenschau „Welt im Film“.

 

Die Neugründung der Freiwilligen Feuerwehr Schlitz wird am 11. November 1948 - mit der Eintragung in das Vereinsregister - amtlich bestätigt.

7.4 Um der geschichtlichen Wahrheit willen

Das Jahr 1948 bringt dann einen grundlegenden Wandel im Feuerschutz. Vorausgegangen ist am 12. Oktober d.J. ein Großbrand in der Seifenfabrik NIEPOTH in der Bahnhofstraße (übrigens der vierte Brand in diesem Jahr), wobei die durch Kriegs- und Nachkriegszeit entstandenen Mängel sowohl beim Gerät als auch in der Organisation schonungslos aufgedeckt werden.

 

Aufgrund der zutage getretenen Mißstände findet auf Veranlassung von Bürgermeister REINHARDT einige Tage später eine Führerbesprechung statt. Zur Diskussion stehen die Löschwasserversorgung, der Zustand des Schlauchmaterials sowie die Taktik des Löscheinsatzes. Es werden folgende Sofortmaßnahmen ergriffen: Beschaffung von 400 m B- und 100 m C-Schläuchen und die umgehende Verbesserung der Löschwasserversorgung in der unteren Bahnhofsstraße sowie ein Wechsel in der Wehrführung!

 

Bürgermeister REINHARDT wird beauftragt, mit dem früheren Wehrführer BECKER zu verhandeln und ihn zu bitten, die Wehr wieder zu übernehmen. Heinrich BECKER (52) ist dem Feuerschutzwesen zu sehr verbunden, um diesen Antrag abzulehnen. Vom 1. November 1948 an steht die Wehr wieder unter seinem bewährten Kommando.

 

Eine zweite Motorspritze (eine TS 4 mit 18 PS ILO-Motor) wird angeschafft und im Januar 1949 in Dienst gestellt.

 

Im Frühjahr 1949 erfolgt die Verlegung einer stationären 125 mm Durchmesser starken Rohrleitung, ausgehend vom Schlitzfluß - etwa 100 m unterhalb der „Noll-Brücke“ - bis in die untere Bahnhofstraße, wo sie bei der Friedenseiche in einem Überflur-Hydranten endet. Ab diesem Zeitpunkt ist eine wesentlich schnellere und vor allem ausreichende Löschwasserversorgung für das sogenannte „Industrieviertel“ und das Wohngebiet „Heidgra­ben“ sichergestellt.

 

Das Geschehen um den Brand NIEPOTH ist auch der Anlaß für die Geschäftsleitung der Fa. GG. LANGHEINRICH, im Jahr 1949 eine eigene Werksfeuerwehr aufzustellen. Die aus zwei Löschgruppen bestehende, mit einem Tragkraftspritzenanhänger mit TS 8/8 und fahrbarer Schlauchhaspel ausgerüstete Feuerwehr wird von Brandmeister Erich ZINDLER geführt. Aufgrund des in drei Schichten produzierenden Betriebes und dank der Liberalität der Geschäftsleitung steht dieser Löschzug auch dem kommunalen Brandschutz praktisch „rund um die Uhr“ zur Verfügung (vgl. Kap. 16).

 

Die Werksfeuerwehr, nach der heutigen Definition als „freiwillige Betriebsfeuerwehr“ zu charakterisieren, war Dank ihres Ausrüstungsstandes in den 50er Jahren ein ganz wesentlicher Bestandteil des Brandschutzes in der Stadt und den Schlitzerländer Dörfern.

So war es einst: Fuhrspritze der Gemeinde Unterschwarz aus dem Jahr 1889. Gespannführer: Heinrich PFLANZ, Beifahrer: Helmut OPFER, "Feuerwehrhauptmann": Heinrich SCHÄFER, Ützhausen

(Aufnahme von 1973 nach der großen Schauübung "Brandbekämpfung einst und jetzt" auf dem Marktplatz).


Das 100-jährige Jubiläum der Schlitzer Feuerwehr feiert man zeitgemäß, bescheiden und etwas verspätet im Februar 1949 mit einem „Familiena­bend.“ Das Programm besteht aus „Ansprachen, Konzert, Tombola, Tanz und humoristischen Einlagen“. Der Höhepunkt des Abends ist ein Schauturnen von Kindern aktiver Feuerwehrkameraden unter Leitung der Kameraden Fritz MERTZ und Emil ECKHARDT (beide ehemalige aktive Turner).

 

Im August 1949 kommt es in Pfordt zu einem Großbrand (Anwesen HÜHN). Wegen einer gestörten Fernsprechverbindung wird die Schlitzer Wehr relativ spät alarmiert. Neben Pfordt und Schlitz sind noch die Wehren Fraurombach, Üllershausen, Hartershausen und Hemmen im Einsatz. Die vorsorglich alarmierten Löschzüge der Feuerwehren aus Fulda und Lauterbach werden nicht mehr eingesetzt, da der Brand vor ihrem Eintreffen unter Kontrolle gebracht werden kann.

 

 

Wertermittlung nach Preisindex *

 

In der vorliegenden Chronik wird man des öfteren mit Beschaffungskosten konfrontiert. Um dem Leser eine ungefähre Wertvorstellung nach heutigen Maßstäben zu vermitteln, wurde folgende Tabelle erstellt:

 

Preisindex 1991 = 100

                    1996 = 114,4

 

                            Jahr                               Index                             Faktor (gerundet)

 

                            1888                              11,4                               10,0350

                            1898                              12,0                                 9,5333

                            1906                              13,4                                 8,5373

                            1916                              27,4                                 4,1751

                            1926                              21,6                                 5,2962

                            1936                              18,9                                 6,0529

                            1946                              24,0                                 4,7666

                            1956                              33,6                                 3,4047

                            1966                              42,6                                 2,6854

                            1976                              64,6                                 1,7763

                            1986                              90,2                                 1,2682

 

Möchte man z.B. wissen, was heutzutage (1996) eine Feuerlöschpumpe kosten würde, die im Jahr 1888 mit 1.200 Mark zu Buche schlug, mulipliziert man den Betrag mit dem 1888er Faktor und erhält somit den heutigen Preis (1.200 Mark x 10,0350 = 12.042 DM).

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* Indexzahlen, Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 1997.